Paläobiologie und Evolution der Conocardioidea (Rostroconchia)
Seit der ersten monographischen Bearbeitung der Mollusken-Klasse Rostroconchia Pojeta et al., 1972 durch Pojeta & Runnegar (1976) ist die Ordnung Conocardioida mit den beiden Überfamilien Eopterioidea und Conocardioidea als der „moderne“ Zweig der Rostroconchia angesehen worden. Die Studien der letzten Jahre zu Paläobiologie, Taxonomie und Lebensweise der Conocardioida haben gezeigt, dass die Vertreter dieser Ordnung wesentlich formenreicher und vielgestaltiger sind, als ursprünglich angenommen. Auch die bisherigen Ansichten zur Stammesgeschichte der Conocardioida müssen erheblich modifiziert werden, seitdem nicht nur neue Daten zur Larvalschale und Ontogenie von Conocardien und Hippocardien vorliegen, sondern auch die Mikrostruktur und Architektur der komplex aufgebauten Schale genauer untersucht wurden.
Im Gegensatz zur bisherigen Ansicht konnte inzwischen nachgewiesen werden, dass der für die Familie Hippocardiidae kennzeichnende Kragen (engl. hood) quasi zur „Grundausstattung“ der Conocardioidea gehört, seit dem Ordovizium belegt ist und damit keineswegs zur spätphylogenetischen Spezialisierung zählt. Die Gruppe der ursprünglich als typisch angesehenen Conocardien bildet dagegen den abgeleiteten Typ, der ohne Kragen tiefer in das Substrat eindringen konnte, weitgehend endobenthisch lebte und möglicherweise im Unterkarbon den Übergang zu den Scaphopoden anzeigt. Die Hippocardiiden, deren charakteristischer Kragen inzwischen auch bei unvollständiger Erhaltung rekonstruierbar ist, lagen entweder dem Substrat auf oder steckten weitgehend immobil mit ihrem brevicon verkürzten Körper in der Sedimentoberfläche.
Die Conocardioidea erreichten ihre erste Diversifizierungsspitze im Unterdevon sowohl Rheinischer als auch Böhmischer Fazies mit zahlreichen, z.T. aberranten Taxa. Der zweite Anstieg der Diversität, z.T. gekoppelt mit einer enormen Individuengröße, ist in der Schelffazies des Mississippiums zu erkennen. Die Neugliederung der Conocardioidea in nunmehr 4 Familien, 2 Unterfamilien und 32 Gattungen, darunter 13 neue, spiegelt sowohl die Diversifizierung im Devon und Karbon, aber auch die ökologisch gesteuerte Stammesgeschichte der Überfamilie wider.
Unsere Forschungsarbeit seit 1990 hat sich in den letzten vier Jahren wieder intensiviert, um den Band „Rostroconchia“ des Treatise on Invertebrate Paleontology zu verfassen. In diesem Zusammenhang hat sich Kai Pfennings ausführlich dem Artkonzept der Typusart Conocardium aliforme (J. de C. Sowerby, 1827) gewidmet und die Art durch Mikro-CT-Analyse dreidimensional dargestellt. Dabei wurden auch weitreichende systematische Probleme und Konsequenzen aufgedeckt, die noch umfangreiche zukünftige Studien erfordern.
Berna Balik hat sich ausführlich mit der Morphologie und ontogenetischen Entwicklung der mitteldevonischen Art Bohemicardia hainense (Maurer, 1885) auseinandergesetzt. Individuenreiche Aufsammlungen aus dem Museum für Naturkunde Berlin ermöglichten neue Ergebnisse über die Entwicklung der Tiere: sie werden im Laufe des Wachstums immer bauchiger, die Schnauzenöffnung wird größer, die Rippen auf dem zentralen Klappenkörper breiter und der Flügelsinus deutlich ausgeprägter. Zur Entwicklung des Rostrums ist keine Aussage möglich, da die Rostren bei den vorhandenen Exemplaren weitgehend abgebrochen sind.
Ein weiteres Teilprojekt beschäftigt sich mit der Art Conocardium elongatum J. Sowerby, 1815, die von Jennifer Kössling bearbeitet wurde. Diese Art besitzt eine markant langgestreckte Morphologie, was möglicherweise auf eine besondere Verwandtschaftsbeziehung zu den Scaphopoden schließen lässt. Die Untersuchungen erfordern paläobiologische, paläoökologische und phylogenetische Überlegungen, um gleichzeitig die Stellung von C. elongatum innerhalb der Gattung Conocardium Bronn, 1835 und der Familie Conocardiidae Miller, 1889 zu revidieren. Im Zuge der Bearbeitung konnte dieses Taxon der von R. Hoare 2006 aufgestellten Gattung Leptoconocardium zugewiesen werden und stellt damit einen speziellen, hoch spezialisierten Evolutionszweig der Conocardiiden dar.
In Kürze beginnen wir mit einer Studie über die Rostroconchien des pennsylvanischen Finis Shales (Unteres Virgilium) von Nord-Texas. Aus diesen fossilreichen Schiefertonen und Mergelsteinen stammen gut erhaltene Exemplare mehrerer Taxa, die zum Teil noch Larvalschalen tragen.
Publikationen zum Projekt:
Amler, M.R.W. (2018): Late Early Devonian Rostroconchia (Mollusca) from Hamar Laghdad (Morocco). - Neues Jahrbuch für Geologie und Paläontologie, Abhandlungen, 290 (1-3): 183-189.
Amler, M.R.W. (2016): Shallow marine Rostroconchia (Mollusca) from the latest Devonian (Strunian) and their significance for rostroconch life style and evolution. – Geologica Belgica, 19: 111-120.
Amler, M.R.W. & Gummersbach, K. (2015): Ein pseudobigaleaider Rostroconch aus dem ober-ordovizischen Boda-Kalkstein des Siljan-Gebietes (Mittel-Schweden) [A pseudobigaleaid rostroconch from the upper Ordovician Boda Limestone of the Siljan region (central Sweden)]. – Archiv für Geschiebekunde, 7: 311-323.
Amler, M.R.W. & Lohrengel, A.F. (2015): Ein pseudobigaleaider Rostroconch in einem ober-ordovizischen Geschiebe [A Pseudobigaleaid Rostroconch from an Upper Ordovician Geschiebe]. – Archiv für Geschiebekunde, 7: 261-276.
Amler, M.R.W. & Rogalla, N.S. (2013): Chapter 17. Biogeographical distribution patterns in Early Palaeozoic Rostroconchia (Mollusca). - In: Harper, D.A.T. & Servais, T. (eds.): Early Palaeozoic Biogeography and Palaeogeography. - Geological Society London, Memoir, 38: 235-255.
Amler, M.R.W. (2010): Seltene fossile Mollusken aus dem Erdaltertum: „Schnabelschaler“ (Rostroconchia) aus dem Devon und Karbon von Südwest-Hessen. - HessenArchäologie, 2009: 11–14.
Amler, M.R.W. & Rogalla, N.S. (2007): “Moderne” Rostroconchien: Conocardium und Hippocardia. - Fossilien, 2007 (3): 149–154.
Rogalla, N.S. & Amler, M.R.W. (2007): Nomina dubia der Hippocardioidea (Mollusca; Rostroconchia). – Paläontologische Zeitschrift, 81 (1): 29-70.
Rogalla, N.S. & Amler, M.R.W. (2006): Revision der Familie Pseudobigaleaidae Hoare, Mapes & Yancey, 2002 (Mollusca; Rostroconchia). - Paläontologische Zeitschrift, 80 (2): 167–208.
Rogalla, N.S. & Amler, M.R.W. (2006): Revision der Familie Hippocardiidae Pojeta & Runnegar, 1976 (Mollusca; Rostroconchia). - Paläontologische Zeitschrift, 80 (3): 238–276.
Rogalla, N.S. & Amler, M.R.W. (2006): Taxonomie und Systematik der Hippocardioidea Pojeta & Runnegar, 1976 [n. superfam.] (Mollusca; Rostroconchia). - Paläontologische Zeitschrift, 80 (4): 344–383.
Rogalla, N.S. & Amler, M.R.W. (2006): Index of conocardioid and hippocardioid rostroconch taxa (Mollusca: Rostroconchia). - Geologica et Palaeontologica, 40: 27–61.
Amler, M.R.W. & Rogalla, N.S. (2004): History and nomenclature of the Conocardioidea (Mollusca: Rostroconchia). – Paläontologische Zeitschrift, 78: 307-322.
Rogalla, N.S. & Amler, M.R.W. (2003): Biogeographical distribution patterns in Mid- and Late Palaeozoic Conocardioida (Mollusca: Rostroconchia). - Courier Forschungsinstitut Senckenberg, 242: 51-69.
Amler, M.R.W. & Rogalla, N.S. (2003): Conocardioida - Daten, Fakten und ein Ende in Sicht. - Terra Nostra, 03/5: 21.
Amler, M.R.W. & Rogalla, N.S. (2001): Larval shells and further news of the Late Palaeozoic conocardioid rostroconchs. - 45th Annual Meeting of the Palaeontological Association, Copenhagen, Abstracts: 4-5.
Rogalla, N.S. & Amler, M.R.W. (2001): Larvalschalen der Conocardioidea. - Terra Nostra, 01/6: 94-95.
Amler, M.R.W. (1996): Giant hippocardiids from the Lower Carboniferous of Western Europe. – Irish Journal of Earth Sciences, 15: 113-122.
Pojeta, J. & Runnegar, B. (1976): The palaeontology of Rostroconch Molluscs and the early History of the phylum Mollusca. - U.S. Geol. Surv., Prof. Paper, 968: 1-88.
Pojeta, J. jr., Runnegar, B., Morris, N. J. & Newell, N. D (1972): Rostroconchia: A new class of Bivalved molluscs. - Science, 177: 264-267.
Kontakt bei Fragen:
Professor Michael R.W. Amler
Institut für Geologie und Mineralogie der Universität zu Köln
Zülpicher Str. 49a
50674 Köln
Tel. 0221/470 5672
Email: michael.amler(at)uni-koeln.de