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Promotion

HARTENFELS, S. (2011): Die globalen Annulata-Events und die Dasberg-Krise (Famennium, Oberdevon) in Europa und Nord-Afrika – hochauflösende Conodonten-Stratigraphie, Karbonat-Mikrofazies, Paläoökologie und Paläodiversität. – Münstersche Forschungen zur Geologie und Paläontologie, 105: 17-527.


Durch lithologische, karbonatmikrofazielle und hochauflösend biostratigraphische Untersuchungen werden in Europa und Nordwest-Afrika faunistische und paläoökologische Entwicklungen im Zeitbereich Palmatolepis rugosa trachytera-Zone (= Untere trachytera-Zone) bis Bispathodus aculeatus aculeatus-Zone (= Mittlere expansa-Zone) bestimmt, um die bisher wenig erforschten, globalen Annulata- und Dasberg-Events vergleichend zu analysieren und zu interpretieren.
Insgesamt wurden 18 Profile in Deutschland (Rheinisches Schiefergebirge: Beringhauser Tunnel, Effenberg, Oese, Riescheid; Saxothuringikum: Gositzfelsen, Kahlleite-Ost, Grünau), Polen (Heilig-Kreuz-Gebirge: Kowala) und Südost-Marokko (Maider: Mrakib; Tafilalt: Bine Jebilet, El Atrous-Ost, Hassi Nebech, Jebel Erfoud, Jebel Ouaoufilal, Jebel Ouaoufilal-Pass, Ouidane Chebbi-Nordwest, Oum el Jerane, Takhbtit-West) Bank-für-Bank, im Liegenden und Hangenden der Event-Schichten, aufgenommen. Diese decken regional verschiedene Fazies-Bereiche ab. Profile des Rheinischen Schiefergebirges, Saxothuringikums und Heilig-Kreuz-Gebirges gehören einer hemipelagischen, kalkigen Schwellenhang- und tonigen Becken-Fazies an. In Südost-Marokko repräsentieren die Abfolgen die flach geneigte, hemipelagische Tafilalt-Plattform und die tonigeren Tafilalt-, Rheris- und Maider-Becken.
350 Conodonten- sowie zusätzliche Fazies-Proben wurden entnommen. Zum Vergleich diente eine isolierte Conodonten-Probe vom Malpasso (Karnische Alpen). Insgesamt 80151 bestimmbare Plattform-Elemente lassen sich 20 Gattungen bzw. 126 Arten, Unterarten und fest definierten Morphotypen zuordnen. Basierend auf anhaltenden, erheblichen Unsicherheiten der Apparat-Rekonstruktionen im Famennium, findet nur die in feinstratigraphischen Studien benutzte Taxonomie für Plattform-Elemente Verwendung. Neben drei neuen Arten (Clydagnathus tragelehni n. sp., Polygnathus pseudotenellus n. sp., Po. spiculiferus n. sp.) werden vier neue Unterarten (Alternognathus regularis continuus n. ssp., B. stabilis zizensis n. ssp., Pa. gracilis carnica n. ssp., Pa. gracilis semisigmoidalis n. ssp.) aufgestellt. Innerhalb von B. spinulicostatus, Pa. gracilis expansa, Pa. perlobata postera, Po. spiculiferus n. sp. und Pseudopolygnathus micropunctatus werden sechs neue Morphotypen definiert. Aufgrund unklarer Abgrenzungen bleiben vierzehn weitere Formen (B. aff. costatus, Caenodontus sp., „Pandorinellina“ n. sp., Po. cf. experplexus, Po. cf. granulosus, Po. cf. perplexus, Po. cf. rhabdotus, Po. aff. semicostatus, Po. aff. subirregularis, Polylo. cf. concentrica, Ps. cf. granulosus, Ps. aff. granulosus, Ps. marburgensis cf. marburgensis, ?N. Gen. et sp.) in offener Nomenklatur. Po. dissimilis wird in die Gattung Bizignathus überführt, Branmehla gediki als Unterart Br. bohlenana zugeordnet. Zahlreiche neue lokale Erstnachweise stammen insbesondere aus dem Wildenfelser Zwischengebirge und dem südöstlichen Anti-Atlas, in denen erstmals Conodonten-Faunen des mittleren/oberen Famennium im Detail untersucht wurden.
Die Conodonten-Stratigraphie wird revidiert und eine neue Zonierung vorgestellt, die eine Synthese der „Standard-Zonierungen“ sensu ZIEGLER (1962a) und ZIEGLER & SANDBERG (1984) mit den neu gewonnenen Ergebnissen darstellt. Dies ist nötig, da die bisherige Zonierung zum Teil auf Taxa (Pa. perlobata postera, Pa. gracilis expansa) beruht, deren stratigraphischer Nutzen regional begrenzt ist. Dabei ergibt sich die Neugliederung aus dem Vergleich zum Teil feinerer Regional-Zonierungen. Sie weist sieben Conodonten-Zonen aus, deren Namen konsequent der leitenden Art/Unterart folgen: Scaphignathus velifer velifer-Zone (= Oberste marginifera-Zone), Pa. rugosa trachytera-Zone (= Untere trachytera-Zone), Ps. granulosus-Zone (= Obere trachytera-Zone: im Rheinischen Schiefergebirge, Saxothuringikum und Heilig-Kreuz-Gebirge mit der höheren Pa. gracilis sigmoidalis-Subzone und dem subsequenten trachytera-styriacus-Interregnum; im Tafilalt mit der höheren Pa. gracilis sigmoidalis-Subzone), Po. styriacus-Zone (= Untere postera-Zone), Pa. gracilis manca-Zone (= Obere postera-Zone: im Rheinischen Schiefergebirge mit der höheren Pa. rugosa rugosa-Subzone), B. stabilis stabilis-Zone (= stabilis Morphotyp 2, = ca. Untere expansa-Zone: im Rheinischen Schiefergebirge und Saxothuringikum mit dem höheren styriacus-aculeatus-Interregnum), B. aculeatus aculeatus (= Mittlere expansa-Zone: im Rheinischen Schiefergebirge, Saxothuringikum und Heilig-Kreuz-Gebirge mit der höheren B. costatus-Subzone).
Überregionale und regionale Reichweiten einzelner, teilweise bedeutender Taxa, wie B. stabilis bituberculatus (= stabilis Morphotyp 3), Br. ampla, Br. werneri, Pa. glabra lepta später Morphotyp, Pa. minuta minuta, Pa. rugosa trachytera, Ps. granulosus und Sc. velifer velifer werden präzisiert.
Die Basis des regionalen trachytera-styriacus-Interregnums wird durch das Aussterben von Pa. rugosa trachytera im Unteren Annulata-Zwischenkalk markiert. Beide Annulata-Events fallen somit in die hohe Ps. granulosus-Zone. Der europäische Dasberg-Event gehört der hohen B. stabilis stabilis-Zone an, der südostmarokkanische Event-Horizont dem basalen Abschnitt der jüngeren B. aculeatus aculeatus-Zone. Daher wird der Begriff Dasberg-Krise für den gesamten Zeitraum eingeführt, der beide heterochronen Event-Schichten umfasst.
Unter Berücksichtigung der Nomenklatur nach DUNHAM (1962) lassen sich 19 modifizierte Mikrofaziestypen (inkl. Subtypen) definieren, die zwei signifikant abgrenzbaren Faziesserien (MF-A: Faziesbereich unterhalb der Sturmwellenbasis; MF-B: Faziesbereich im Einflussbereich der Sturmwellenbasis) zugeordnet werden. Sie dienen einer paläoökologischen Rekonstruktion der jeweiligen Sedimentationsräume. Eine bisher nicht bekannte, Corg-reiche, hochenergetische, kalkige Event-Fazies (Annulata- und Dasberg-Events) wird in der Amessoui-Synklinale (Tafilalt) nachgewiesen.
Im Rheinischen Schiefergebirge (Effenberg, Oese) liegen die Annulata- und Dasberg-Events in einer untereinander ähnlichen Entwicklung vor. Übereinstimmungen bestehen auch mit dem Hangenberg-Event. Ein Wechsel von zyklischen Knollenkalk-Tonschiefer/Mergel-Folgen zu Corg-reichen Schwarzschiefern deutet auf verstärkten Absatz von Tontrübe im Zuge einer Transgression und auf Episoden hoher Primärproduktivität hin, wobei die spezifischen Produzenten regional noch unbekannt sind. Der Übergang zu den Eventlagen verlief kurz, aber graduell. Charakteristische Blüten spezifischer, opportunistischer Clymenien (z. B. Platyclymenia) oder der Muschel Guerichia zwischen Makrofossil-armen liegenden und hangenden Schichten bestätigen die Annahme kurzfristiger Eutrophisierungsepisoden, die lokal und vertikal unterschiedlich intensiv waren. Daraus resultieren lokale Variationen von Corg-Reichtum, Durchlüftung (Lebensbedingungen für Benthos) und pelagischer Fauna der Eventschichten. Die Nahrungsressourcen für Guerichien und Ammonoideen bleiben unklar. Anoxische Maxima werden durch Pyrit-Horizonte und Fossil-leere Schwarzschiefer angezeigt. Die geringe Führung an Makrofauna belegt, dass der Obere Annulata-Schiefer vermutlich unter O2-ärmeren Bedingungen als sein unteres Äquivalent gebildet wurde. Anhaltendes Nährstoff-Recycling könnte Faunenblüten im Hangenden des oberen Annulata-Schiefers erklären (siltig bis feinsandiges, mergeliges, grünes Wagnerbank-Äquivalent bei Oese; mittel- bis dunkelgrauer Mergel am Effenberg). Perioden lokaler Guerichia-Blüten zwischen dem Oberen Annulata- und Dasberg-Schwarzschiefer bei Oese zeigen, dass Grundvoraussetzungen für ähnliche Eutrophisierungen permanent gegeben waren.
Am Beringhauser Tunnel (abgesunkener, vulkanischer Seamount) liegt der Untere Annulata-Event in einer abweichenden, stark kondensierten, leicht dunkelgrauen Kalk-Fazies vor. Das Ausbleiben von Guerichien-Blüten und eine relativ Individuen-arme Ammonoideen-Fauna sprechen für eine verminderte Nährstoffzufuhr gegenüber den tieferen Schwellenhängen.
Im Saxothuringikum sind die Events schwächer ausgeprägt und schlechter überliefert. Im Saalfelder Raum ist der Annulata-Event nur einlagig als Schwarzschiefer entwickelt, im Gebiet des Bergaer-Sattels (Kahlleite-Ost) sind zwei geringmächtige Horizonte ausgebildet. Die post-Annulata-Regression ist deutlich durch die kalkige und sehr fossilreiche Wagnerbank bzw. deren Äquivalente erkennbar. Plötzliche Massenvorkommen von Prionoceraten deuten auf anhaltende Nährstoffzufuhr trotz Wechsels zur aeroben Fazies hin.
Die Event-Schichten und Faziesverschiebungen entsprechen im Heilig-Kreuz-Gebirge (Kowala) denen des Rheinischen Schiefergebirges. Als Besonderheit treten Cyrtoclymenia-Blüten im Dasberg-„Schwarzschiefer“ auf.
Im südöstlichen Anti-Atlas sind die Annulata- und Dasberg-Events markant entwickelt, allerdings fehlt das Zeitäquivalent des europäischen Dasberg-Events in einer Schichtlücke. Regional lassen sich in allen Event-Schichten nur Ammonoideen-Blüten dokumentieren; eine exaerobe Guerichia-Fazies ist nicht ausgebildet. Obwohl die Gattung untergeordnet vorkommt, fehlte regional, vermutlich breitengradabhängig, die in Europa verbreitete Nahrungsressource.
Am Mrakib (Maider) sind Ammonoideen-Blüten für den Unteren Annulata- und Endosiphonites-Horizont charakteristisch. Aufgrund des kompletten Fehlens von Benthos war das Substrat anoxisch. Das subsequent zum Oberen Annulata Event folgende, dreigeteilte Wagnerbank-Äquivalent dokumentiert neben einer Prionoceras-Platyclymenia-Fauna ein ungewöhnliches Maximum der ansonsten seltenen Conodonten-Gattung Caenodontus. Dieses ist aus anderen Gebieten unbekannt und stellt eine zusätzliche, neue Conodonten-Biofazies in einem eutrophen Becken dar. Die ökologische Komplexität der Beckenfazies wird durch völlig verschiedene Ammonoideen-Blüten in drei sukzessiven Leithorizonten (Procymaclymenia pudica-, Sporadoceras orbiculare-, Protoxyclymenia wendti-Bank) zwischen Oberem Annulata-Event und Dasberg-Krisen-Intervall angezeigt. Außerdem sind am Mrakib zwei zusätzliche anoxische (Pyrit-reiche) „Schwarzschiefer“-Lagen eingeschaltet.
Auf der zentralen südlichen Tafilalt-Plattform ist lediglich der Untere Annulata-Event in einer flachen, hochenergetischen, eutrophen Kalkfazies über einer Schichtlücke entwickelt. Die Dasberg-Krise steht ebenfalls über einem Hiatus in vergleichbarer, kalkiger Fazies (Endosiphonites-Kalk bei Oum el Jerane) oder in dunklen, pyritischen, Corg-reichen und stark Fossil-führenden Tonsteinen (Jebel Ouaoufilal) an. Im Gebiet der nördlichen Tafilalt-Plattform fehlen die Annulata-Schichten, vermutlich in einer Schichtlücke. Der marokkanische Dasberg-Event ist dort als mächtiger, relativ Makrofossil-armer, hypoxischer Tonstein ausgebildet.
Im Tafilalt-Becken sind die Annulata-Events in einer mergeligen, Platyclymenien-reichen und Benthos-führenden Fazies entwickelt. Während die Bivalve Loxopteria häufig angetroffen werden kann, fehlen Guerichien. Die lokale Event-Fazies war dysaerob, aber nicht ex- oder anaerob. Übereinstimmungen bestehen zu den Annulata-Events des Rheris-Beckens. Der regionale Dasberg-Event liegt als eutropher Endosiphonites-Tonstein vor und ähnelt insgesamt dem des Maider.
In Verbindung mit den Annulata-Events besteht ein gradueller Verlust von sieben teils bedeutenden Conodonten-Arten/Unterarten im hohen Abschnitt der Ps. granulosus-Zone: Pa. perlobata grossi (zweite feste Kalklage unterhalb des Unteren Annulata-Schwarzschiefers), Sc. velifer velifer (Unterer Annulata-Event), Pa. rugosa trachytera und Pa. glabra lepta später Morphotyp (untere Lage des Annulata-Zwischenkalks), Pa. minuta minuta (obere Lage des Annulata-Zwischenkalks) sowie Po. duolingshanensis und Po. padovanii (Wagnerbank-Äquivalent). Dieses untergeordnete Aussterben beruht vermutlich auf der stärkeren Anoxie des Oberen Annulata-Events. Der Ammonoideen-Wechsel zwischen UD III und IV verlief weitaus dramatischer (lokal auf Artebene bis zu 100 %). Faunen-arme Schichten im Liegenden des Unteren Annulata-Events dokumentieren aber ein graduelles Aussterben noch vor Beginn der Schwarzschiefer-Sedimentation. Die Annulata-Events erlauben die bereits bekannte, plötzliche Ammonoideen-Radiation im basalen UD IV, sowohl bei Goniatiten als auch bei Clymenien.
Auch die Dasberg-Krise hatte keine signifikante Auswirkung auf die Conodonten-Population. Der drastische Einschnitt bei den Ammonoideen führte zu einem Ersatz der globalen Prionoceras-Platyclymenia-Fauna durch den ersten Faunen-Komplex der Clymenia-Gonioclymenia-Stufe (UD V-A1). Jüngste Prionoceras aus der Endosiphonites-Zone deuten an, dass auch dieser Übergang gradueller war als früher angenommen.
In Südost-Marokko erscheint der Faunenwechsel durch die Schichtlücke am Top des UD IV drastischer als in europäischen Profilen, wo die Schichten im Liegenden des Dasberg-Krisen-Intervalls (ähnlich zum Unteren Annulata-Event) Makrofauna-arm sind. Neue Daten bekräftigen die deutliche Clymenien- und Goniatiten-Radiation im UD V-A1.
Diese Unterschiede zwischen Conodonten und Ammonoideen zeigen, dass beide Gruppen in den identischen Außenschelf-Regionen ökologisch unabhängig waren und ihre Evolution nicht gekoppelt verlief.
Die neuen Daten stehen im Einklang mit dem bisherigen Modell zur Schwarzschiefer-Genese, das BECKER (1992) und BECKER et al. (2004) für die Annulata-Events vorschlugen. Vermutlich klimatisch gesteuerte Eutrophisierungsphasen unterschiedlicher Intensität führten während transgressiver Intervalle in verschiedenen Regionen zu diskreter bzw. wiederholt zu gesteigerter Primärproduktion noch unbekannter Planktongruppen. Als Folge kam es zu regional unterschiedlichen Blüten opportunistischer, an eutrophe Bedingungen angepasster Mollusken (bestimmte Ammonoideen und/oder Bivalven), zu lokal variabler Sauerstoff-Armut und zur Bildung dunkler, Corg-reicher Schiefer und Karbonate (je nach bathymetrischer Position). Anzeichen für eine überwiegend terrigene Steuerung der Annulata-Events bzw. der Dasberg-Krise fehlen.
Ein tieferes Verständnis der Event/Krisen-Prozesse im Famennium sollte künftig durch Detailuntersuchungen in anderen Regionen sowie durch gezielte geochemische und palynologische Untersuchungen erreicht werden.